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BSA Bern, Architektur verstehen,

Synthese von industrieller Vorfertigung und Kunst

Synthese von industrieller Vorfertigung und Kunst

Architektur der DDR steht oft für Monotonie und langweilige Rationalität. Aber nicht nur, was Ausnahmen, wie der Komplex Stadthalle mit Hotel in Chemnitz bestätigen. Dieser Bau wurde zwischen 1969 bis 1974 durch ein Team von Architekten, Künstlern und Gartenarchitekten unter Leitung von Rudolf Weisser errichtet.

Einerseits wird hier eine industrielle, serielle und ökonomische Bauweise thematisiert: der ganze Bau basiert auf einem ordnendem Dreiecksraster mit vorgefertigten Tragelementen (Stütze, Riegel und Deckenplatte). Andererseits sind uns nur wenige Bauten mit so vielen künstlerischen Interventionen bekannt: mehr als zehn Künstler wurden schon in der Projektierungsphase herangezogen, um eine Einheit von Architektur und Kunst zu erreichen und die „bildende Kunst nicht zur nachträglichen, dekorativen Zutat zu degradieren.“ (Rudolf Weisser, Stadthalle und Interhotel „Kongreβ“ in Karl-Marx-Stadt, in Architektur der DDR, n°4, 1975, S. 232)

Beachtenswert ist die ornamentale Betonfassade des grossen Saales, die überaus zeitgenössisch wirkt. Sie wurde von Hubert Schiefelbein, Bildhauer und Professor an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar (einziger Professor für Plastisches Gestalten und architekturbezogene Kunst in der ehemaligen DDR) entworfen. Wie ein lichtdurchlässiger textiler Umhang erscheint diese abstrakte Struktur aus industriell gefertigten Formsteinen. Die Eleganz dieser Betonelemente resultiert aus der Harmonie zwischen Masse und Leere, zwischen geschwungener und gerader Linienführung, zwischen konvexen und konkaven Teilen. Die somit erzeugte Schattenbildung  verleiht der Fassadenwand eine ungewöhnliche Tiefe.

Aber auch die Wand mit den Eingängen zum grossen Saal hinterlässt einen starken Eindruck: die expressive Betonstruktur von Hans Brockhage erscheint fast wie ein Relief. Durch eine äusserst roh belassene Holzverschalung entsteht eine ‚texture brute‘ mit tief eingravierten schattenerzeugende Spuren. Diese fast von Hand ‚skulptierte‘ Innenwand kontrastiert spannungsvoll mit der angestrebten industriellen Bauweise.

Eine ähnliche Spannung wird durch die ausdrucksstarken Eingangstüren vom Metallgestalter Achim Kühn in der riesigen monotonen Glasfassade erzeugt. Diese dunklen, schweren und plastischen Elemente inszenieren fast theatralisch den Moment des Eintretens.

Trotz der angestrebten Einheit von Architektur und Kunst wird der Bau selbst nicht zum Kunstwerk. Vielmehr ordnen sich die Kunstwerke dem Gesamtkonzept unter. Sie humanisieren und ästhetisieren die funktionale Architektur.

Verfasst von Laurent Vuilleumier