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BSA Bern, Architektur verstehen,

Das Raumplanungsgesetz kennt keine Städte

Das Raumplanungsgesetz kennt keine Städte

Raumplanungssplitter – Eine ketzerische Glosse

A. Das Raumplanungsgesetz kennt keine Städte, obwohl rund 70% der Bevölkerung in verstädterten Gebieten wohnen. Der Begriff Stadt kommt weder im Gesetz noch in der Verordnung vor. Im Gesetz geht es darum die Landschaft zu schützen, wohnliche Siedlungen und die räumlichen Voraussetzungen für die Wirtschaft zu schaffen und dabei auf eine angemessene Dezentralisation der Besiedlung und der Wirtschaft hinzuwirken.
Auf der Bundesebene interessiert man sich demnach für Siedlungen und Siedlungsgebiete. Raumplanung bleibt eine leere Hülse, wenn sie sich nicht um die Entwicklung und die Funktionsfähigkeit der Städte und deren Agglomerationen kümmert.

B. Wer kantonale Parlamente kennt weiss um die Skepsis gegenüber der Kernstadt. Überparteiliche Stadtlobby hat Seltenheitswert. Ich habe es mehrfach erlebt, dass Vertreter der städtischen Exekutive im Berner Kantonsparlament gegen die Interessen „ihrer“ Stadt votiert und gestimmt haben. Aus parteipolitischen Gründen. Ländliche Regionen hingegen treten öfter geschlossen auf. Eine Stadtlobby kommt oft auch darum nicht zustande, weil die Platzhirsche, die am lautesten röhren, in der Stadt ihr Geld verdienen und im steuergünstigen Dorf wohnen. Wenn die Stadtinteressen bereits auf kantonaler Ebene vereinsamen, wie können sie hoffen, auf Bundesebene gefördert zu werden?

C. Der Steuerwettbewerb unter den Gemeinden (und gegen die Städte) ist der Hauptfeind jeglicher Raumplanung (siehe röhrende Platzhirsche).

D. Der Mythos der „ländlichen Schweiz“ ist nach wie vor gegenwärtig. Gleichzeitig ist die wirklich ländliche Schweiz in Gefahr (Mythos «ländliche Schweiz» bei gleichzeitiger Landflucht). Mit ländlich ist für viele etwas Halbstädtisches gemeint: Auf dem Land wohnen, in der Stadt arbeiten. Nicht nur in Bern werde ich den Eindruck nicht los, dass viele Stadtbewohner das Urbane, das Städtische ablehnen. Man bucht Städteflüge und schwärmt von London, Paris und New York. Zu Hause gilt die Devise. „Bern bleibt grün“ oder „Häb Sorg zu Bärn“.

E. Das Einfamilienhüsli (mit Zaun darum herum) steht nach wie vor zuvorderst auf der Wunschliste der Schweizer. Das eingezäunte Einfamilienhaus „Schweiz“ (es kann auch eine ummauerte Villa mit Seeblick sein) steht auch als politisches Leitbild zur Diskussion.

F. Raumplanung aus schweizerischer Sicht heisst auch Angst vor Zürich. Einer der Punkte, bei dem sich Politik und Raumplanung einig sind. Also dezentrale Schwerpunktbildung. Resultat: eine Stadtkette, die auf Zürich ausgerichtet ist. Zürich wächst von aussen nach innen. Berner Rocker tragen dieses Schicksal mit Gelassenheit: Sie nennen sich „Züri West“.

G. Ist das, was wir sehen, wenn wir mit der Eisenbahn oder auf der Autobahn quer durch die Schweiz reisen, das Ergebnis raumplanerischen Bemühungen? Was man als sichtbaren Willen erkennen kann, sind die Trassen der Autobahnen und die Konzentration von Neubauten im Umfeld der Ausfahrten. Auch Zäsuren zwischen bebautem und unbebautem Land sind erkennbar. Der grosse Rest ist Raumunordnung, ist Zersiedelung. Sind Einkaufszentren im Umfeld der Autobahnanschlüsse sinnvolle Ziele der Raumplanung? Hätten die planerischen Bemühungen nicht auch auf die Stationen des öffentlichen Verkehrs abgestimmt werden müssen? Man hat mit einer vernünftigen Vernetzung der Siedlungsplanung mit der Verkehrsplanung so lange gewartet, bis es zu spät war. Hätte man diese Fehlentwicklungen nicht voraussehen müssen?

H. Ich weiss: Die Raumplanung ist nicht wirkungslos. Vieles, das sich nicht verändert hat und deshalb nicht auffällt, hat sich wegen der Raumplanung nicht zum Schlechten verändert. Wenigstens ein Trost.

I. Offensichtlich ist aber die Diskrepanz des Anspruchs der Planer mit ihrer zu Gunsten der Raumplanung geleisteten Arbeit zur Wirklichkeit der Zersiedlung und des Flächenverbrauchs. Die Wirklichkeit ist durch die Folge politischer Entscheide und nicht durch die planerische Arbeit geprägt.

K. Zum Planerverständnis: Ist der Planer ein Regulator aktueller Geschehnisse? Ist er ein Frühwarner, der auf das aufmerksam macht, was zu erwarten ist? Ist er ein Opportunist, der das sagt, was die Politiker von ihm erwarten? Fest steht: Planer publizieren, tagen und forschen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass sich viele Planer zu wichtig nehmen, dass sehr viel ohne Wirkung produziert wird. Nur: Der Handlungsbedarf liegt auf der politischen Ebene. Raumplanung ist Dienstleistung an die Politik, nicht eigenständiges Handeln. Planung ist die Vorbereitung von politischen Entscheidungsprozessen. Unsere Raumplanung krankt an der Politik.

L. Hinter der Problematik der relativen Wirkungslosigkeit der Raumplanung steht das zur Tabuzone verdrängte Kapitel Bodenrecht (Bodenunrecht). Für den insbesondere in der Schweiz beschränkt verfügbaren Boden soll ein möglichst frei verfügbarer Warenwert erhalten bleiben. Der Zwiespalt zwischen Planungsrecht und Bodenrecht ist bekannt. Das Geld (der Warenwert), nicht die Politik (die Gesellschaft) bestimmt das Gesicht unserer Städte.

M. Raumplanung ist unbequem für Föderalisten, ein Reizwort für Egoisten, Willkür für Kapitalisten und Fremdwort für die desinteressierte Mehrheit. Denn ihr Ziel ist gemäss Gesetz eine auf die Entwicklung des Landes ausgerichtete Ordnung. Schreckbild Planwirtschaft: Die NZZ titelte in den 60iger Jahren zum Entwurf des Raumplanungsgesetzes: «Wehret den Anfängen!» Raumordnung als Willkür? Realität ist der Mythos einer ländlichen Schweiz, das Einfamilienhaus als politisches Leitbild und die Planwirtschaft, die es zu deregulieren gilt: Raumplanung hat es schwer in diesem Land.

N. Eine der wirkungsvollsten Aktionen des Bundes, die zu gross ausgeschiedenen Bauzonen zurückzubinden, wurde vor wenigen Jahren mit dem aus der kriegswirtschaftlichen Terminologie stammenden Begriff der Fruchtfolgeflächen zu einem beachtlichen Erfolg geführt (siehe RPG Art.1, 2e und d: „die ausreichende Versorgungsbasis des Landes zu sichern“, „die Gesamtverteidigung zu gewährleisten“). Die Landesverteidigung wurde zur Kulturlandverteidigung. Grün und Rot sorgten sich um die Fruchtfolgeflächen und wurden zu Gesamtverteidigern. Raumplanung live.

verfasst von Franz Biffiger