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werk, bauen + wohnen 1/2 – 2022

werk, bauen + wohnen 1/2 – 2022

Kann Siedlung auch Stadt sein?

Mit ihren Vorgärten und mit ihrer Monokultur des Wohnens mag die Siedlung zwar wenig urban erscheinen. Doch ihre Beliebtheit ist im Coronajahr starkewachsen: Sie bietet Freiräume im Nah­ bereich, Licht, Sonne, Ausblicke, Grün – und Nach­ barschaft statt Anonymität. Nur leider wendet sie der Stadt, der öffentlichen Strasse meist ihren Rücken zu und bezieht sich allzu sehr nur auf sich selbst. Wie könnte die Siedlung vermehrt Anschluss finden an den Raum der Stadt?
Mit «Siedlung» meinen wir eine Überbauung von einheitlicher Architektur und Umgebungs­gestaltung auf einem grösseren Areal. Meist fehlt ihr ein städtischerix von Nutzungen, und trotz­ dem ist die Siedlung kein Phänomen, das aus der Agglomeration in die Städte gewandert wäre: Ihr Ursprung liegt vielmehr in der Stadt, und die histori­sche Rückblende zeigt von der Riedtli­-Siedlung in Zürich bis zum Square Montchoisy in Genf Vor­bilder, die dezidiert Stadt waren und sind. Wie könnte man solche Überbauungen nicht für lebens­werte Teile der Stadt halten?
Kraft ihrer Grösse können in der Siedlung Orte geschaffen werden, die auf ein Kollektiv ausge­richtet sind. Das können eigentliche Gemeinschafts­räume sein, mindestens sind es aber baumbestandene Freiräume, die der Siedlung Mitte und Identität verleihen – und Orte, deren Öffentlichkeitsgrad nicht ohne weiteres klar ist. Im Unterschied zur städti­schen Rigueur des Entweder­-Oders baut die Siedlung auf die vielen Stufen dazwischen. Die Kunst des Siedlungsbaus ist, die Übergänge zwischen öffentli­chen und privaten Bereichen klug zu moderieren. Besonders interessant wird die Aufgabe, wenn es darum gehen soll, der Siedlung Anschluss an den öffentlichen Raum zu verleihen.
So ist dieses Heft auch ein kleines Plädoyer für die Siedlung – ganz besonders da, wo sie ihre un­ bestrittenen Vorzüge, das Angebot an Freiraum und möglicher Gemeinschaft, in den Dienst des Städ­tischen stellen kann. Unsere Beispiele aus Genf und Zürich, Altdorf und Schlieren geben Hinweise dafür und zeigen: Voraussetzung ist ein enges Zu­sammenspiel von Architektur und Landschafts­architektur. — Daniel Kurz, Roland Züger