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Nachruf Alain G. Tschumi

Nachruf Alain G. Tschumi

Wenn Architektur und Kunst sich berühren
Im Andenken an Alain G. Tschumi, Architekt, La Neuveville

Die Begeisterung für Kunst zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben und Wirken von Alain Gérard Tschumi. Geboren 1928 in Moutier, aufgewachsen in Porrentruy, geprägt von der Jugendzeit im Jura und den Einschränkungen der Kriegsjahre, entschied sich Tschumi für ein Architekturstudium an der ETH Zürich, wo er 1952 diplomiert wurde und anschliessend bei Prof. William Dunkel eine Assistenzstelle übernahm. Bereits während der Studienzeit entwickelte sich bei Treffen im Haus des international renommierten Architektur- und Kunsthistorikerpaares Giedion-Welcker eine wahre Leidenschaft für Kunst. Begegnungen mit Hans Arp und anderen Künstlern hinterliessen starke Eindrücke. Die Seminare bei Sigfried Giedion – von vielen seiner Mitstudenten gemieden – erlebte Tschumi als seine eigentliche architektonische Bildung, wie auch die regen Diskussionen mit den Studienkollegen Dolf Schnebli, Benedikt Huber, Fritz Schwarz, Hans Litz, Beate Schnitter und André Studer. Die Verbindung von Architektur und Kunst, der Kontakt mit Malerinnen und Plastikern und das Sammeln von Kunst begleiteten Tschumi sein ganzes Leben.

Alain Tschumi war stets von wacher Neugier angetrieben und hatte ein gutes Gespür für sich anbahnende Tendenzen in der Architektur. Dieser Intuition folgend nahm er 1952 an der Sommerschule der Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (CIAM) in Venedig teil. Auch seine Wanderjahre folgten diesem Instinkt. So arbeitete Alain Tschumi noch während des Studiums in Paris bei Marcel Lods und danach 1953/54 bei Keijo Petäjä und Pentti Ahola in Helsinki. Dort lernte er sein Handwerk und entwickelte das Interesse für eine materialgerechte Konstruktionsweise, die sein Werk fortan prägen sollte. In den frühen Nachkriegsjahren sind immer wieder Schweizer Architektinnen und Architekten in Finnland. So auch Ulrich Stucky, der gemeinsam mit Tschumi die Heimreise antritt; nicht südwärts, wie man denken würde, sondern nach Norden und in Begleitung des finnischen Schriftstellers Yrjö Kokko kehren die beiden jungen Architekten über Norwegen in die Schweiz zurück.

1955 beginnt Alain Tschumi seine selbständige Tätigkeit als Architekt in Biel; zuerst in Assoziation mit Rodolphe Baumann (Baumann Tschumi, 1956–1968), später folgt die Zusammenarbeit mit Pierre Benoît (Tschumi Benoît, 1980–1998). Das Wirken der Architekten fällt in die Zeit der Hochkonjunktur, der "Trente Glorieuses", wie Tschumi zu betonen pflegte. Im Seeland und im Jura, aber auch an anderen Orten in der Schweiz, in Spanien und in Paris gelingt es Tschumi und seinen Partnern, namhafte Bauten zu realisieren. Erste Arbeiten in den Fünfzigerjahren, wie die Maison de la paroisse protestante in La Neuveville, auf einem hexagonalen Grundraster in Backstein und Holz errichtet, zeigen Einflüsse nordischer Architektur. In der Überzeugung, eine bessere Welt zu schaffen und der Losung "Nie wieder Krieg!" folgend, schuf er Bauwerke, die auch die technischen Neuerungen und Materialien der Zeit anwenden. Tschumi war es wichtig, einfach und günstig zu bauen. Bei den Schulbauten der 1960er-Jahre in Porrentruy, Cornol und Sonceboz wurden die Möglichkeiten des Béton brut ausgelotet. Es entstanden körperhaft-skulpturale Bauten von starker Aussagekraft die klar machen, dass hier ein Architekt mit gestaltendem Willen am Werk ist. Die kleine katholische Kapelle Notre-Dame-de-la-Salette in Rossemaison gehört auch zu dieser Werkgruppe; dieser intime, nach innen gerichtete Ort ist ein kleines, zu Unrecht wenig bekanntes Juwel.

Um dem grossen Bedarf an Schulraum in Biel gerecht zu werden, experimentierte die "Gruppe 44", ein Zusammenschluss junger Bieler Architekten (Benoit de Montmollin, Carlo Galli, Otto Leuenberger und Alain Tschumi) mit Betonelementbau. So entstanden ab 1967 zum Beispiel die Schulen Walkermatte und Sahligut. Die Siebzigerjahre wurden denn auch zur intensivsten Schaffensperiode von Alain Tschumi. Die beiden grossen Bieler Bildungsinstitute, das Seminar Linde und die Gewerbeschule, ragen aus dem Gesamtwerk heraus. Es sind Stahlbauten von beachtlicher tektonischer und städtebaulicher Prägnanz. Zeitgleich engagiert sich Tschumi für das Fortbestehen der Schweizerischen Plastikausstellung in Biel. 1975 wurde er zusammen mit Maurice Ziegler Co-Leiter. Die beiden Chantiers Linde und Gewerbeschule wurden zum Experimentierfeld der Zusammenarbeit mit Künstergruppen, deren Resultate auch an der Plastikausstellung 1975 gezeigt wurden. Beim Seminar Linde sind es die Künstler Franz Eggenschwiler, Konrad Vetter, Robert Wälti und Peter Kunz, bei der Gewerbeschule Bernhard Luginbühl, Jean Tinguely, Toni Grieb, Paul Talman und Willy Müller-Brittnau, die mit Tschumi von Anbeginn der Projektierung eine Kooperation eingehen. Damit folgt der Architekt einem Zeitgeist: Er reagiert auf kulturelle und gesellschaftliche Zustände, geht an vorderster Stelle mit, nimmt Themen auf, tritt engagiert und mit einer klaren Haltung für ein fortschrittliches Umfeld ein, das mit seinen Bauten geschaffen wird. Er fordert Künstler zur Zusammenarbeit auf, lässt ihnen ungewohnt grossen Raum und reagiert mit seiner eigenen architektonischen Sprache laufend auf die vor Ort entstehende Kunst. Trotzdem baut Tschumi einfach. Er baut so, dass man auch heute noch die Kraft und den Geist der Zeit spürt. Alain Tschumi ist dadurch zu einem Botschafter einer Architektur geworden, die nicht in sich selbst verliebt ist, sondern mögliche Antworten bietet auf gesellschaftliche Fragen und kulturelle Nöte , aber auch auf Bedürfnisse der Seele, die sich von Kunst einfacher berühren lässt, als von den Bauten selbst, die stets auch funktional sein müssen.

1980 wird Alain G. Tschumi als Professor für Architektur und Konstruktion an die EPFL nach Lausanne berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1993 lehrt. Zuvor hat er sich für den Dialog zwischen Architekten und Politik verdient gemacht als Gründer der Regionalgruppe des SIA, des Architekturforums Biel und als Zentralpräsident des Bundes Schweizer Architekten BSA (1976–1980).

Über all die Jahre war Tschumi zudem ein begeisterter Kunstsammler. Diese Leidenschaft brachte ihn in Kontakt mit Künstlerinnen und Künstlern ersten Ranges wie Meret Oppenheim, Bernhard Luginbühl, Jean Tinguely, Gianfredo Camesi, Henri Presset, Oscar Wiggli, Schang Hutter und vielen anderen.

Im Zusammenhang mit der Arbeit am filmischen Zeitdokument über "Alain G. Tschumi – Construire pour un monde meilleur" wurde dem Architekten aber auch bewusst, dass viele seiner Bauten heute bedroht sind. Dass sich die Wertschätzung dennoch zunehmend verbreitet, davon zeugt nicht zuletzt der "Mérite culturel neuvevillois 2019", der Kulturpreis der Stadt La Neuveville, der dem Architekten im Mai dieses Jahres verliehen wurde.

Auch dem BSA ist es ein Anliegen, das Werk von Alain Tschumi und jenes seiner Berufskolleginnen und -kollegen zu würdigen und das Wissen um diese bedeutende Architekturproduktion aus einer noch wenig geschätzten Epoche zu verbreiten. Auf Vermittlung des unlängst gegründeten Vereins Architektur Archive Bern soll ein Teil des noch erhaltenen beruflichen Nachlasses von Alain G. Tschumi an das Stadtarchiv Biel gehen. Lassen wir sein Werk nicht in Vergessenheit geraten.

Die Trauerfeier findet am Dienstag, 13. August 2019 um 15.00 Uhr in der La Blanche église, Chemin de la Combe , 2520 La Neuveville statt.

Der Film "Alain G. Tschumi – Construire pour un monde meilleur" ist am Dienstag, 24. September 2019 um 20.30 Uhr, im Cinémajoie, Route de Belfort 16, in Porrentruy zu sehen.

Der Film kann bei für Fr. 20.– als DVD bestellt werden.

vorgestellt von Patrick Thurston

Hier finden sie den Artikel vom 13.08.2019 aus dem Bieler Tagblatt als PDF