Schliessen
BSA-FAS, Publikationen BSA,

werk, bauen + wohnen 6–2019

werk, bauen + wohnen 6–2019

Die Kunst, den Tiger zu reiten

Nirgends wächst und verändert sich die Schweiz so rasant wie in den Agglomerationen am Rand der grossen Städte. Ob im Arc Lémanique, im Limmattal, der Achse Zug–Luzern oder entlang der Birs bei Basel: Die bisher ländlichen oder industriell geprägten Vororte nehmen immer deutlicher städtische Konturen an. Hauptsächlicher Motor dieses Wachstums war primär die Transformation von Industrie-, Lager- und Bahnarealen und ihre Verwandlung in Quartiere mit städtischer Dichte und Mischung. Doch nun zeichnet sich ein planerischer Paradigmenwandel ab: Statt um arrondierte Areale geht es jetzt immer häufiger um den sehr viel schwierigeren Umbau des Bestandes, um die Verdichtung bestehender Quartiere, um die Entwicklung der Zentren und Wohngebiete – wo eine Vielzahl von Interessen und Eigentumsgrenzen aufeinandertreffen. Un-ter dem raumplanerischen Diktat der Siedlungsentwicklung nach innen plant man heute immer dort, wo schon etwas steht. Das bedingt eine bessere Abstimmung der Planung und Mitsprache der Bevölkerung; Planung wird komplexer als bisher. Dabei wird deutlich: Der öffentliche Raum bestimmt die Qualität der Entwicklung – und nicht die einzelnen Bauprojekte.
Der Subventionsanreiz der Agglomerationsprogramme des Bundes hat seit 2006 viel dazu beigetragen, den Immobilien-Goldrausch in den Agglomerationen in geordnete Bahnen zu lenken, den Langsamverkehr und den ÖV zu stärken und Freiräume sicherzustellen. Denn die Programme schreiben heute zwingend vor, die Planung von Verkehr und Siedlung im Verbund anzugehen. Vor allem aber bewirken sie eine zuvor kaum denkbare Bereitschaft zur Kooperation, Planung und zur Problemlösung über Gemeinde- und sogar Kantonsgrenzen hinweg – im Westen von Wil wie im Westen von Zürich oder im Westen von Lausanne. Denn Verkehrsfragen können einzelne Gemeinden ebenso wenig im Alleingang bewältigen wie etwa die Erschliessung der meist dringend  benötigten Erholungsräume in den dicht beplanten Gebieten. So rücken die einst vernachlässigten Rand- und Grenzlagen in den Mittelpunkt des Interesses. Nicht nur politische Grenzen stehen zur Disposition, wenn qualitätsvoller Lebensraum entstehen soll, sondern – mehrere Autoren dieses Hefts tönen es an – immer mehr auch die Parzellen- und Eigentumsgrenzen. — Daniel Kurz, Roland Züger