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werk, bauen + wohnen 12 – 2022

werk, bauen + wohnen 12 – 2022

Raum einnehmen

Architektur ist nie zeitlos. Sie entsteht immer in einer spezifischen Umgebung, unter bestimmten Voraus­setzungen, während einer gewissen Periode. Mit der Zeit werden dann auch Themen aktuell, die davor zwar gespürt, aber nicht benannt werden konnten, weil die Worte dafür fehlten. Das gilt für den im Moment rege gebrauchten Begriff der Inklusion. Über Jahrzehnte wurden – bewusst oder unbe­wusst – viele ausgeschlossen. Seit letztem Herbst heisst der BSA Bund Schweizer Architektinnen und Architekten. Zeit, dass wir diese Vielfalt sicht­bar machen. Aber ein Heft mit Frauenarchitek­tur? Nein, danke. Frauen bauen nicht anders als ihre Kollegen. Aber sie nehmen in der Gesellschaft weniger Raum ein. Und das hat strukturelle Gründe. Doch ein ausbeuterisches Arbeitsethos, unbezahlte Überstunden und unzählige Nachtschichten bereits im Studium führen dazu, dass diejenige, die daheim mehr unbezahlte Arbeit leistet, weniger Zeit hat für Architektur.
Mehr anstrengen müsse man sich eben, reinknien, wurde einst verkündet – und ich staune, dass seit der Veröffentlichung von Sherly Sandbergs Lean In erst sieben Jahre vergangen sind. Vor sieben Jahren dachte ich auch noch, ich müsse mich eben mehr anstrengen. Zum Glück habe ich mittlerweile durch mehr Lektüre und eine sich stetig verändernde Gesell­schaft verstanden, dass strukturelle Gründe nicht durch mehr Anstrengung wegzulächeln sind. Erst durch Selbstreflexion und Aufklärung kann ein Perspektivenwechsel stattfinden. Dafür wurde dieses Heft konzipiert, mit einer gehörigen Portion Respekt vor dem Thema und dem weisen Ratschlag der wunderbaren Interviewpartnerinnen von Mycket im Ohr: «Du machst dir deine Hände immer schmutzig, und was du tust, wird nie für alle perfekt sein.» — Jenny Keller