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werk, bauen + wohnen 7/8 – 2022

werk, bauen + wohnen 7/8 – 2022

Himmel und Erde verbinden

Sei es zur Steigerung des persönlichen Wohlbefindens – das Motto heisst «Waldbaden erdet» – oder als Rettungsanker in Klimadebatten – «Grün gegen die Hitze» – Bäume sind in aller Munde. Im Februar 2021 konnte man handfest erleben, wie
wichtig vitales Grün beispielsweise in Städten ist: Die Schäden durch starken Schneefall, der den hitzegestressten Stadtbäumen arg zusetzte, gehen in die Millionen (alleine für die Stadt Zürich). Spätestens als die Bäume ihre Äste so zahlreich liessen, dass sogar Schulkinder zu Hause bleiben mussten, dämmerte es wohl den Letzten: Wir müssen über
Bäume reden.
In der Geschichte haben Bäume seit jeher einen besonderen Status. Unter ausladenden Linden wurde einst Gericht gehalten oder ausgiebig getanzt. Manch kolossales Exemplar liess die Menschen an kosmische Mächte glauben – so wurden Bäume
auch Ziel von Wallfahrten. Ausser Frage steht, dass ein Baum Kraft verströmt. Er symbolisiert die Verbindung von Mensch und Natur, von Himmel und Erde und ist Spiegelbild für das Kommen und Gehen des Lebens; in seiner Krone wird der Lauf der Jahreszeiten sichtbar. Und so schafft ein Baum als lebendiges Wesen selbst in städtischen Gefilden eine Verbindung zur Natur.
Zu einem Schloss gehören Park und Allee. Aber wie steht es mit den Bäumen entlang unserer Strassen? Bemerken wir deren Funktion erst, wenn sie fehlen, wenn Leitungskanäle und Tiefgaragen sie von ihren Grundlagen abgeschnitten haben? Sollten wir den Bau nicht wieder mit dem Baum, das Bauliche mit dem Erbaulichen zusammendenken?
So sehr wir den sichtbaren Teil des Baums schätzen, so sehr lassen wir seine unsichtbare Seite verkümmern. Die Bäume in der CAD-Bibliothek sind ohne Wurzeln gezeichnet. Das ist, als ob wir beim Bauen auf das Fundament verzichteten. Denn im Wurzelbereich liegt der Schlüssel für das Verständnis von Bäumen. Und im Erdreich mit seinen Mikroorganismen liegt auch ein Reichtum an Biodiversität, deren Verschwinden uns zu schaffen macht. Kleinstlebewesen verfügen zwar nicht über die Anmut von Singvögeln. Gleichwohl sollten wir den Tiefgrund des Zusammenlebens im Kopf behalten, wenn unsere Sinne sich am Duft der Linden erbauen oder wir im Schatten der Kronen die Kühle geniessen. — Tibor Joanelly, Roland Züger