Schliessen
BSA-FAS, Publikationen BSA,

werk, bauen + wohnen 5 – 2022

werk, bauen + wohnen 5 – 2022

Nach dem Dämmen: das Dekarbonisieren

Im vergangenen Jahrzehnt legten Politik, Bauindus­ trie und Architekturschaffende ihren Fokus auf die Verminderung der Betriebsenergie von Gebäu­ den. Ein Haus ohne Heizung war das Ziel, allen­falls noch ein kleiner Kachelofen sollte erlaubt sein. Mit Furor hat man die Haustechnik auf Effizienz getrimmt, die Gebäudehülle luftdicht verklebt und die Bauten in einen dicken Wintermantel gepackt. Die letzte Pirouette in dieser Darbietung galt der Wohnungslüftung, freilich nicht ohne die Wärme aus der Abluft wieder den Räumen zuzuführen.
Ganz vergessen ging dabei das Naheliegende. Nicht nur im Betrieb wird Energie verbraucht, sondern auch bei der Herstellung der Gebäude. So wie man heute beim Einkauf vielleicht die Finger von Äpfeln aus Südafrika lässt, so findet auch zuneh­mend ein Umdenken bei der Grauen Energie statt. Woher kommt das Material? Wieviel CO₂ emittiert seine Herstellung? Und kann das Gebäude ohne Federlesens rückgebaut werden? «Kreislaufdenken» heisst der Begriff, unter dem diese Fragen figurie­ren – ein grosses Wort.
Würden wir herkömmliche Konstruktionsweisen überdenken, so liessen sich schon ab morgen Ver­besserungen erreichen. Warum dämmen wir beispiels­ weise unsere Bauten nicht mit Stroh aus dem Feld neben der Baustelle anstatt wie so oft mit Erdöl­-Produkten? Im Unterschied zu Frankreich ist die Strohballen­-Bauweise hierzulande kaum verbreitet. Wir haben jedoch in Graubünden einen Pionier gefunden und ihn nach seinen Erfahrungen gefragt. Ebenso wagen Herzog & de Meuron in Allschwil
ein Bürohaus aus Buchenholz, mit Stoh auf dem Dach, Lehmdecken und Solarfassade, ein Experi­ment im nachhaltigen Bauen. Zu einer Material­diät rät Guillaume Habert, Professor an der ETH Zürich, denn Beton und Glas seien wie Äpfel aus Südafrika. Florian Nagler, Professor an der TU München, baut bereits weitgehend enthaltsam. Seine drei archaisch einfachen Wohnhäuser in Bad Aibling kommen fast ohne Haustechnik und Armierungsstahl aus.
Quasi mit den Strohhalmen in der Hand knüpfen wir mit diesem Heft an einer Themenreihe weiter, die wir bereits vor vier Jahren begonnen haben. Diese Hefte zur klimafreundlichen Konstruktion sind topaktuell geblieben: Materialkreislauf (wbw
5 – 2021), Für das Klima (wbw 3 – 2020) oder Lehm (wbw 6 – 2018). — Roland Züger