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BSA Bern, Nostre preoccupazioni, , Jacques Blumer

Nachruf Ralph Gentner

Nachruf Ralph Gentner

Nachruf Ralph Gentner

Im Sommer 1958 ist es soweit. Die Baubewilligung ist erteilt, der Baukredit gesprochen, die Waldlichtung in Herrenschwanden kann zur Siedlung Halen werden. Das Atelier 5, das seit seiner Gründung als kleine Gruppe gearbeitet hat, braucht dringend Leute. Ralph, er hatte bei Egon Eiermann in Karlsruhe sein Architekturstudium abgeschlossen, hört davon. Im Frühsommer 1958 steht sein 2CV im Hof der Ryfffabrik, dem städtischen Lagerhaus, in welches das Atelier 5 als erstes Büro und die Morgenthalers als Bewohnende gerade eingezogen waren. 

Aus der kleinen Gruppe entsteht nun langsam die Arbeitsgemeinschaft Atelier 5 mit ihrer eigenen Art des Zusammenarbeitens und ihrer eigenen Sicht auf die Architektur. Ralph ist von Anfang an diesem Prozess beteiligt. Die Mannschaft für Halen ist bald zusammengestellt. Darüber hinaus geht es um die Realisierung unterdessen eingetroffener, weiterer Aufträge und den Aufbau der Arbeitsgemeinschaft. Ralph, mehrsprachig, schreibgewandt und von Eiermann auf genaue Beobachtung und eine praktische Ausrichtung hin getrimmt, ist hier am richtigen Platz. Er ist Teil des Teams für die Planung der Reihenhäuser Flamatt 2 und später beim Haus Citron in Carona mit dabei. Dazu übernimmt er in dieser Zeit die Rolle, Kontakte zu Zeitschriften und Organisationen herzustellen und das Atelier 5 so aktiv bekannt zu machen.

Ankommen im Atelier 5 ist das eine, ankommen in Bern das andere. Zuerst muss ein Ort zum Wohnen gefunden werden. Ralph hat das riesige Glück, in der Altstadt an der unteren Junkergasse günstig eine Wohnung mieten zu können. Dann geht es um das tägliche Essen, die Zeit nach der Arbeit (so denn vorhanden) und die sozialen Kontakte in der neuen Stadt. Das Lötschberg an der Aarbergergasse (heute abgerissen) und die Steh-Bar in der EPA; das ist es, mittags bei knapper Kasse. Das Coq d’Or kann man sich am Monatsanfang leisten. Treffpunkt ist das Grotto neben dem Käfigturm an der „Front“: Junge Künstler, Studenten und Architekten. Eine Bühne für die Schönen und die Möchtegerns, die Streber und die Lebenskünstler. Voilà das Spielfeld der 1960er-Jahre. Ein Spielfeld, das sich schnell auf den Falken, die Quik Bar (später Lorenzini) und das Della Casa ausdehnt. Nicht zu vergessen das Madrid wo nach drei «Kosacken» Schluss war, auf dass der Gast noch knapp nach Hause torkeln konnte.

Der Arbeitstag ist lang, Überstunden kein Begriff. Zum Ausgleich trifft man sich abends im Commerce und dort auf die Berner Kunst- und Kulturszene, auf Kollegen, Freunde und gute Bekannte. Auf Meret Oppenheim, Nelly Morgenthaler und Lilly Keller, auf Rolf Iseli, Franz Fédier und Bernhard Luginbühl, auf Pips Vögeli, Christian Lindow und und und. Hier landet das junge Atelier 5 und hier im Commerce wird Ralph Gentner Stammgast. Er bleibt es lebenslang und bedankt sich mit dem Buch «Café du Commerce».

Hier wachsen Freundschaften und es erwacht das Interesse an der Kunst und der Zusammenarbeit mit Künstlern. Thema ist nicht die Architektur als Kunst, sondern die Kunst am und im Bau. Die Kunst nicht als selbständige Dekoration gedacht, sondern als Teil des Baus, den sie auf eine andere Art sehen und verstehen lässt und so selbst Teil des Ganzen wird. Das mit den Bauten und Projekten des Atelier 5 zusammenzubringen ist Ralphs Anliegen.

So entsteht über die Zeit ein Netz von Künstlern, die mit dem Atelier zusammenarbeiten. Balz Burkhard gehört dazu, wie auch Markus Rätz und Roland Gfeller Corthésy. Beim Umbau der Spar- und Leihkasse in Bern kann Niele Toroni gewonnen werden, bei der Erweiterung des Kunstmuseums Remy Zaugg. Ralphs Verflechtung mit der Kunstszene wird durch seine enge Beziehung zur Kunsthalle und dort insbesondere zu Harald Szeemann dann Johannes Gachnang und Ulrich Look verstärkt. Dies ist sicher ein Grund dafür, dass die Kunst in allen wichtigen Projekten des Atelier 5 ein Teil der Architektur wird, vom Amtshaus Bern über die Mensa in Stuttgart bis zum Jägerhaus in Berlin, um nur drei Orte zu nennen.

Doch es ist die Architektur, die weiterhin das erste Anliegen von Ralph bleibt. Der Bau ist ein Gebrauchsgegenstand, der auf immer neue Weise den konkreten Bedürfnissen genügen muss. Beim Spital Schwarzenburg etwa, wo die Aufgabe gestellt war, einen Ort zu schaffen, an dem der Patient gesunden kann und nicht gesundgemacht gemacht werden sollte. Ein neues Krankenzimmer mit neuen Beziehungen nach Aussen und Innen, neuer Belichtung und Beleuchtung wird entwickelt, gestützt von der Mitarbeit eines Künstlers, hier war es Roland Gfeller Corthésy.

Wie mit der Projektierungsarbeit bleibt Ralph mit der Publikation der Arbeiten des Büros beschäftigt. So ist er denn auch an mehreren Büchern über die Arbeiten des Atelier 5 beteiligt. Seine eigene, besondere Faszination für das Kunstschaffen in allen Bereichen blieb ihm noch lange nach dem Verlassen des Ateliers erhalten. 

Thalmatt, 18. Januar 2024

Jacques Blumer