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BSA Bern, Nostre preoccupazioni, , Patrick Thurston

Abstimmung Viererfeld

Abstimmung Viererfeld
Gutes Beispiel - vordere Lorraine ©Rolf Siegenthaler, Bern.jpg

Gemeindeabstimmung in Bern am 12. März 2023

Vor einigen Tagen habe ich Stadtpräsident Alec von Graffenried gebeten, in einem gemeinsamen Interview einen Austausch zum Viererfeld mit einem Beitrag im «Bund» zu pflegen. Zuerst schien es als könnte es klappen, dann kam die Nachricht, es hätte sich erübrigt, weil er schon einen Termin habe. Auf Nachfrage beim «Bund» zeigte sich die Redaktion interessiert, sie schlugen einen Text vor aufgrund meiner mündlichen Aussagen. Mit der Kritik wollten die Redaktoren auch den Stadtpräsidenten konfrontieren. Dafür überarbeitete ich den Text des «Bund», den ich hier veröffentliche, da mich heute die Mitteilung der Redaktion erreichte, man wolle jetzt doch nichts machen … Soviel zur Vorgeschichte.

Überarbeitete Paraphrasierung des «Bund»

Ich äussere meine Haltung zur bevorstehenden Abstimmung über das Vierer- und Mittelfeld als Privatperson und als Vorsitzender des Bundes Schweizer Architektinnen und Architekten, BSA Bern. Es gibt keine konsolidierte Abstimmungsempfehlung des Verbandes. Mir fällt auf, dass ein offener Dialog und aktive persönliche Meinungsäusserungen zu Architektur und Städtebau in Bern schwerfallen. Man traut sich nicht, seine Meinung zu sagen. Lieber ist man Experte und schweigt in der Öffentlichkeit oder meidet die Debatte, weil man mit eigenen Interessen ins Dilemma kommt. Doch wer sollte sich zu Fragen des Städtebaus und der Architektur äussern, wenn nicht die Architektinnen und Architekten selbst?

Seit dem Entscheid über den Wettbewerb gibt es zwischen der Stadt und der Präsidentenkonferenz Bernischer Bauplanungsfachverbände PKBB (darin vertreten u.a. SIA, BSA, SBW, FSU, USIC, BSLA, usw.) keinen Austausch und keine Kommunikation zum Viererfeld. Die Stimme des Stadtplaners wird in der aktuellen Situation der Entscheidung über ein so weitreichendes Projekt schmerzlich vermisst.

Die Lage ist trotz allem peripher

Das Viererfeld ist ein Ort nahe am Zentrum der Stadt. Trotzdem ist die Lage peripher, so dass man aus städtebaulicher Sicht nicht von einer wirklich «zentralen Lage» sprechen kann. Von Brünnen ist man mit der S-Bahn zum Beispiel in 11 Minuten am HB, von der äusseren Enge zum Bahnhof braucht man mit dem Bus 5 Minuten. Dies zeigt wie relativ solche Einschätzungen sind, für das Empfinden der Bewohnerinnen und Bewohner eines Ortes sind die fussläufigen Distanzen massgebend. Das Viererfeld ist eine Art Ausstülpung der Länggasse. Räumlich ist es ein Ort, der am Rand zwischen den Quartieren liegt. Die Fussdistanz zum Zentrum der Länggasse, etwa dem Zähringer Migros, dem Sattler oder der Gelateria di Berna sind zu weit. Deshalb ist dieser Ort peripher und im Moment vor allem zum Wohnen geeignet. Erdgeschossnutzungen werden es schwer haben, trotzdem sollten nutzungsflexible Strukturen im Erdgeschoss geplant werden.

Für die Stadtplanung und die Entwicklung des Städtebaus ist dieser übergeordnete Betrachtungsmassstab wichtig. Mit dem vorgeschlagenen städtebaulichen Konzept geht man von falschen Einschätzungen aus, wenn man meint, ein lebendiges Quartier wie die Länggasse oder das Breitenraumquartier können hier entstehen. Das ist ein falsches städtebauliches Konzept für diesen Ort, der vom Länggasse-Quartier abgeschnitten ist.

Vernetzung mit den Breitenrainquartier

Wenn man ein urbanes Quartier möchte – die geplanten 7 Geschosse führen zu einer starken baulichen Massierung, von der man an diesem Ort überrascht und befremdet sein wird - dann müsste man als Erstes mit einer richtigen Brücke den Weg zur Wifag im Breitenrain sichern. Man muss die Brücke ja nicht als erstes bauen, sie könnte aber die neue Bebauung über den Fluss hinweg vernetzen. Die Brücke braucht es, damit man zum Beispiel bei der Wifag einkaufen kann, wenn sich dort dereinst ein weiteres Quartierzentrum entwickelt (was eine wichtige Aufgabe der Stadtplanung wäre). Ein Velosteg reicht dafür aber nicht. Für eine lebendige Stadtentwicklung braucht es eine richtige Brücke, vor allem aber für die Meschen, welche die Stadt als Ganzes brauchen, als Ort der Gemeinschaft und des Austausches. Arpad Boa’s Idee einer vollwertigen Brücke ist somit absolut richtig. Die Idee wurde rechtzeitig eingebracht, aber bis heute von den Behörden und der Politik nicht als Chance anerkannt und entsprechend in die Stadtplanung als vorrangiges Ziel integriert.

Grosse Bedeutung informeller Orte in einem Wohnquartier

Wenn man sich eingesteht, dass an dieser doch eher peripheren Lage ein Wohnquartier das richtige wäre, müsste man es so machen, dass die Leute dort wirklich gerne wohnen! Städtebau muss Orte für Menschen schaffen! Dabei gehören ganz wichtig informelle Orte dazu, weil sie in der heutigen, renditeorientierten Immobilienwelt einen schweren Stand haben (allgemein zugängliche Orte, Plätze, Gässchen, Wiesen, Plätze unter Bäumen, Orte wo Kinder im Dreck Buddeln können, skaten, usw.). Eine kleinteilige Vielfalt der Bebauung sind genauso wichtig wie Durchmischung in Form und Gestalt sowie «Brüche» im einheitlichen Konzept.

> Gelungenes Beispiel Überbauung Vordere Lorraine (Werkgruppe Architekten und Reinhard+Partner, Bern).

Mit dem vorgesehenen Masterplan wird es dafür keinen Raum geben. Zwischen den hohen Häusern werden schattige Schluchten mit etwas Abstandsgrün entstehen. Investoren und grosse Wohnbau-Genossenschaften sind nicht die richtigen, um einen Städtebau der Kleinteiligkeit und Diversität zu bauen.

Bern zeigt an mehreren Beispielen wie Städtebau gelingen kann

In der Geschichte der Stadt Bern gibt es herausragende Musterbeispiele guten Städtebaus:

A. Altstadt, wo die Zähringer Hofstätten von 60 x 1000 Fuss an ihre Räte abgaben, nach einfachem, klarem Muster, das den öffentlichen und gemeinschaftlichen Raum bestimmte > UNESCO-Welterbe.

B. Breitsch und Länggasse; entstanden aufgrund von Alignementsplänen (Strassen), gebaut u.a. von Baumeisterfirmen.

C. Bümpliz / Bethlehem: Städtebau der 1950 -70er Jahre (Tscharnergut, Schwabgut, usw.) Genossenschaftlicher Wohnungsbau nach dem 2. Weltkrieg.

Weshalb sind auf dem Viererfeld Baufelder für einige wenige Promotoren geplant, statt 500 kleinere Parzellen, die auch kleine Gruppen aus der Bernischen Bevölkerung bebauen können. Menschen, welche sich zusammenraufen und hier selber etwas verantworten wollen und sich mit diesem Ort und ihrem Werk identifizieren?

Gesamtsicht und Perspektive künftiger Entwicklung fehlt

Und warum beplant man nur die Hälfte des Areals? Dass in 100 Jahren die zweite Hälfte überbaut wird, ist nur logisch. Klar, die Hälfte gehört dem Kanton. Aber die Stadt wäre dennoch frei, ihre Ideen für das ganze Areal zu entwickeln und eine städtebauliche Vision zu verfolgen, die langfristig angelegt ist. So hätten die Architekten und Architektinnen im Wettbewerb ein ganzes Quartier entwickeln können, das dereinst Teil der Länggasse werden könnte. Der aktuelle Masterplan geht von falschen Annahmen zur spezifischen Lage des Vierfelds aus, verpasst die Anbindung zum Breitenrainquartier, ist somit nicht ausgereift. Er ist eine vertane Chance. Die Stadt suchte lange Ideen, Blickachsen in die Alpen standen immer im Fokus der städtebaulichen Studien, nicht aber das Leben der Menschen, die an diesem Ort leben. Der Masterplan macht einfach nur Grundstücke bereit, Strassen werden gebaut, damit Baufelder abgeben werden können. Das reicht nicht, Stadt bauen, heisst Gemeinschaft ermöglichen! Es geht um Qualitäten, welche alle betreffen, Städtebau ist eine soziale Aufgabe. Denn es geht um das Menschsein und um die Frage, was Menschen benötigen, damit sie sich wohl fühlen.

Link zum Plan hier

Link zum Masterplan hier

vorgestellt von Patrick Thurston