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BSA Bern, Capire l'architettura, , Patrick Thurston

Klangkörper - Baukörper

Klangkörper - Baukörper

Klangkörper - Baukörper

Immer wieder erlebe ich, wie schwer es ist über Qualitäten in der Architektur zu sprechen. Selbst im kleinen Kreis und unter Fachleuten gelingt selten ein Dialog, in dem über das Wunder guter Architektur einleuchtend gesprochen wird. Ich frage mich, ob Architektur mit einem „musikalischen Klangkörper“ vergleichbar sein könnte und ob dieser Vergleich vielleicht hilft, Worte und eine Sprache zu finden, damit eine sinnbringende Diskussion über architektonische Qualitäten gelingt?

Seit letztem Winter beschäftigt mich diese Frage immerzu. Auslöser war eine filmische Aufzeichnung der Einstudierung der Klavierkonzerte BWV 1052, 1055, 1056 und 1058 von Johann Sebastian Bach durch den Pianisten David Fray mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, welche der französische Geiger, Filmer und Schriftsteller Bruno Monsaingeon 2008 realisierte.

Der Film zeigt ganz unmittelbar, mit welch immenser Kraft und Energie David Fray die Einstudierung dieser Klarvierkonzerte an die Hand nimmt. Ausgehend von klaren, klanglichen Ideen erarbeiten er mit der Kammerphilharmonie Bremen Schritt für Schritt einen Klangkörper, der als Ganzes seinen Vorstellungen entspricht. Mit äusserster Klarheit wird dabei spürbar, wie David Fray aus einem komplexen inneren Wissen oder Gefühl heraus handelt, das einem tiefen Verständnis für die Musik von Johann Sebastian Bach entspringt. Er hat auf seine Art diese Klangwelten verinnerlicht, verstanden und bis ins letzte Detail durchdrungen.

Im Verlauf der Proben zeigt David Fray den Musikern, wo die Spannung gehalten werden muss, wo dem gesanglichen Klang genügend Raum gegeben werden soll und wo die Farbe ändert. Er gibt vor, wo die eine Sache in dieser bestimmten Farbe gehalten werden muss, ohne zu verlangsamen und an welcher Stelle lyrisch, singend, sinnlich und energetisch gespielt werden muss ohne die grosse Linie zu brechen. Dies alles passiert aus einer inneren Logik, ja Beseeltheit heraus.

Feinste Nuancen spielen eine wichtige Rolle, zu frühe Einsätze stören den Fluss, Rubati dürfen nicht zu Pausen werden, das Zusammenspiel muss atmen. Er sagt den Geigen, Celli, Bratschen und Bässen, die Musik strebe ein gemeinsames „Gebet“ des Solisten mit dem Orchester an. Es gibt Momente wo der Ausdruck sehr breit ist, wo ohne Diminuendo der ganze Atem gehalten werden muss. An anderer Stelle müssen kleinste Verzögerungen präzise gesetzt werden. Die Artikulation muss beachtet werden. Nie soll eine Note umsonst gespielt werden. Alles ist bedeutungsvoll. Hier ist spannungsvolles Spiel im Legato nötig, aber eine Art Spannung mit zähem Widerstand, nicht einfach Legato. David Fray erläutert einen bestimmten Triller, den spezifischen Moment, wo „man den Verstand verliert“, wo Panik um sich greift und die darauffolgende Stelle, wo sich alles wandelt, in eine neue Zeit magischer Farben. Oder er erklärt, wie die Monotonie sich plötzlich auflöst und zum „Triumph des Lichtes“ wird. Jeder kleinste Moment muss eine Bedeutung haben, keine Virtuosität für sich alleine, nein die Musik selbst muss belebt werden, so seine Anweisungen.

Es ist ein grosses Vergnügen diese Einstudierung mitzuverfolgen und dabei zu erleben, wie eine Klangwelt voller magischer Kraft und Sensibilität entsteht. Tief berührend!

Was bedeutet das nun für Qualitäten in der Architektur?

Ich möchte mit der „Farbe“ beginnen: Wie in der Musik ist mit der „Klangfarbe“ nicht die Farbe als solches gemeint. Das Wort „Farbe“ steht vielmehr für die Wärme oder Emotion eines Klanges. Sie bezeichnet eine ganz spezifische Qualität des Ausdrucks und Charakters in der Musik, wobei die „Klangfarben“ sehr unterschiedlich sein können; dunkel oder hell, weich oder trocken, warm oder kalt. Genauso in der Architektur, die ja wirklich farbig sein kann. Aber darum geht es nicht. Mit dem Begriff „Farbe“ können wir die Ausstrahlung eines Hauses umschreiben. Dabei geht es auch um das Haus als Körper!

Häuser können kalt und nüchtern erscheinen, ohne jegliche Ausstrahlung. „Farbigkeit“ in der Architektur entsteht durch feinste Nuancen, Gliederungen, sich wandelnde Schattenspiele, Spiegelungen, Reflexionen, ein Ausdruck von Tiefe und körperhafter Präsenz. Mit dem Wort „Farbe“ kann ein spezifischer Klang in der Architektur beschrieben werden, der von der Ausstrahlung eines Bauwerks herrührt. Ob Farben dabei wirklich im Spiel sind, ist sekundär. Viel wichtiger ist tatsächlich, wie ein Baukörper uns anspricht, welche Stimmung er ausstrahlt und ob wir von seiner Erscheinung berührt werden. Qualität strahlt immer von innen heraus, äusserer Glanz ist mit dieser Klangfarbe der Architektur nicht gemeint. Die Sprache der Körper zeigt Gefühle, wenn sie authentisch ist. Das gilt auch für Baukörper in der Architektur.

Alle anderen Mittel der Gestaltung in der Musik, welche unter dem Begriff der Agogik zusammengefasst werden, können auch in der Architektur abgelesen werden: der grosse Bogen, die Spannung, Pausen, Verlangsamungen oder Beschleunigungen usw. Nur würden wir dann eher von Rhythmus und Proportionen oder von der Gestalt und Form sprechen. Auch dies Begriffe, die in der Musik von Bedeutung sind.

Doch all dies genügt nicht für sich alleine, um gute Architektur zu finden. So wie David Fray die Klangwelt von Johann Sebastian Bach auf seine ganz spezielle Art verstanden und durchdrungen hat, was ihn zu einer unglaublich lebendigen, sinnlich körperhaften Interpretation der Klavierkonzerte befähigt, genauso braucht es beim Bauen eine gestalterische, kompositorische Kraft, die mit den Mitteln der Architektur umgehen kann! Der Ursprung dieses Prozesses der Invention einer architektonischen Sprache, die auch mit „Farben“ und „Klängen“ umgehen kann, liegt in unseren Gefühlen, weil Menschen fühlende Wesen sind und Bauten ihnen Raum geben. In dieser inneren Welt können wir Themen und Stoffe finden, meist zufällige Antworten, Einfälle, die sich als gültig erweisen oder aber wir erarbeiten beharrlich, aus handwerklichem Wissen über Konstruktion, Raum und die Zusammenhänge des Lebens unsere Entwürfe. Wenn Architektur „Raumgeben“ bedeutet, wenn das Raumgeben innerlich empfunden und auf den eigenen Körper bezogen wird, dann müssten Klangfarben in der Architektur sichtbar werden. Vielleicht hilft es, wenn wir immer wieder die Interpretationen von David Fray hören.

David Fray spielt am Sonntag, 22. Januar 2023, 17.00 Uhr im Zentrum Paul Klee in Bern Werke von Franz Schubert (1797 -1828).

vorgestellt von Patrick Thurston

Link zum Meisterkonzert von David Fray im Zentrum Paul Klee am 22. Januar 2023 hier

David Fray mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen