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werk, bauen + wohnen 7/8 – 2023

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Keine heiligen Kühe mehr

Die Landwirtschaft in urbanen Regionen hat mit allerlei Zielkonflikten zu kämpfen: Einerseits nutzt die Bevölkerung gerne die stadtnahen Freiflächen zur Naherholung (Stichwort: 15-Minuten-Stadt) und kommt dabei der Produktion ins Gehege. Die Bauern schauen streng, wenn die Menschen ihre Wiesen durchpflügen, wie sich während der Corona-Pandemie an manchen Orten gezeigt hat. Andererseits verdrängt die bauliche Entwicklung nach innen und an den Siedlungsrändern wertvolle Anbauflächen für die stadtnahe Obst- und Gemüseproduktion. Hinzu kommt: In der Schweiz zeigen die hohen Subventionen für die Landwirtschaft deren hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Doch welche
Art der Nahrungsmittelversorgung darf man dafür im urbanen Kontext erwarten? Wohin steuert die Landwirtschaft, wenn Nachhaltigkeit und Verdich-tung immer wichtiger werden?
In Planungsprojekten ist jüngst die Landwirtschaft auch als Gestaltungsmittel präsent. Bottom-up-Bewegungen wie das urban Gardening, werden top-down angewendet: Ausserhalb von Genf wird zukünftig ein Landwirtschaftspark mit einem Bauernhof betrieben. In Bernex, und so lässt sich auch die Sicht der Landschaftsarchitektur auf die urbane Landwirtschaft verkürzt zusammenfassen, steht das soziale Moment im Vordergrund, weniger die effiziente Produktion. Die gerät jedoch in den Fokus, wenn man nach neuen Feldern für die Landwirtschaft Ausschau hält. Warum soll man Kräuter aus der Ferne einfliegen, wenn sie auf dem ungenutzten Dach nebenan im grossen Stil ohne Erde aufgezogen werden können?
Solche Dachnutzungen sind besonders in Industriegebieten eine clevere Idee, wie ein schmuckes Beispiel aus Flandern zeigt. Als Prototyp der dortigen Regierung wurde einer spröden, alten Industriehalle ein Dachgewächshaus aufgesattelt. Diese Hybridisierung von Industrie-zonen ist zukunftsweisend in mehrfacher Hinsicht. Wenn wir unser Gemüse weniger um den Globus transportieren wollen, müssen wir wieder mehr Anbauflächen in der Region finden. Und: Die Landwirtschaft im industriellen Umfeld unterliegt nicht den Regeln und Gesetzen der Landwirtschaft auf dem freien Feld, dieser heiligen Kuh in der Schweiz, sondern ist Teil des freien Markts. — Jenny Keller, Roland Züger