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BSA Bern, Architettura altrove, , Patrick Thurston

Italienische Reise – Urbino I

Italienische Reise – Urbino I

Urbino, die Stadt

Seine Augen führen fast ein Eigenleben. Die Augenlider bilden eine grosse, hervortretende Kugel, einem Chamäleon ähnlich. Der kann blitzschnell nach allen Seiten schauen, ohne die geringste Bewegung des Kopfes. Das braucht ein gewiefter Kriegsherr. Sein Blick, ohne eine Mine zu verziehen, auch hier, wenn er seine 22 Jahre jüngere, zweite Frau Battista Sforza anschaut. Fadengerade. Sie hält ihm ein ebenbürtiges, kaum sichtbares Schmunzeln entgehen. Den Montefeltro heiratete sie 1460 im Alter von 14 Jahren. Er war 38 Jahre alt. Sie brachte sieben Kinder zur Welt und starb 26 jährig, wenige Monate nach der Geburt des Stammhalters Guidobaldo.

Diese Beobachtungen kann ich dank einem Diptychon machen, dass de Montefeltro bei Piero della Francesca nach dem Tod seiner Frau in Auftrag gegeben hat. Das Montefeltro mit Piero della Francesca einen der besten Künstler der Zeit beauftragte, erstaunt keineswegs. Als Bauherr übertrug er die Arbeiten für seinen Palazzo in Urbino den Architekten Luciano Laurana und Francesco di Giorgio Martini, nachdem Leon Battista Alberti wohl altershalber ausgeschieden war. Illustre Namen! Aber auch Menschen, die einen unglaublich weiten Horizont hatten. Mehrfachbegabte, die als Wegbereiter der Renaissance gelten können. Mit Piero della Francesca schliesst sich der Kreis unserer Italienischen Reise (siehe hier).

Teil 8: URBINO I: Giancarlo De Carlo hat in Urbino auch ein „Auge“ hinterlassen (siehe Titelbild). Einäugig ist diese Öffnung ins historische Mauerwerk gepflanzt. Ein unscheinbares Zeichen, aber eine klare Andeutung dafür, dass sich hinter diesen Mauern Grosses abspielt. Es ist ein Symbol für eine Jahrzehnte dauernde Auseinandersetzungen die 1958-64 mit dem „Piano Regolatore“ für die Stadt Urbino begonnen hat, welcher den Bau der Studentenwohnungen ausserhalb der historischen Stadt und gleichzeitig den Ausbau der Universität im Zentrum vorsah.

Hinter diesen Mauern im Stadtkern richtet Giancarlo De Carlo in verlassenen Klöstern universitäre Institute ein. Das Rektorat, das Lehramt, die juristische Fakultät und beinahe würde man nichts ahnend daran vorübergehen, wäre da nicht dieses wache Auge auf die enge Gasse gerichtet.
(Siehe unten Bildergalerie Magistero)

In dieser Stadt, in der unterschiedlichste Bauzeugen aus unterschiedlichsten Zeiten ineinander verschmolzen sind, Mittelalter, Gotik, Renaissance, Barock, Neuzeit, alles subtil aufeinander abgestimmt und durch den Backstein zu einem Ganzen vereint, gibt es vieles zu entdecken. Zum Beispiel das Oratorio di San Giovanni Battista mit den raumfüllenden Fresken der Brüder Lorenzo und Jacopo Salimbeni (siehe Bildergalerie) oder den Botanischen Garten, ebenfalls in einem ehemaligen Kloster wie die Bauten der Universität. Schon der Einlass verführt einem in andere Sphären und der Garten ist wohltuend heruntergekommen, coronisiert.

Giancarlo De Carlo weiss von was er spricht, wenn er für das Weiterverwenden historischer Bauten und gegen das Konservieren oder Restaurieren eintritt (siehe Film hier). Unsere Tage in Urbino hatten etwas Rituelles, morgens parken wir auf „seinem“ Parcheggio Mercatale, schreiten „seine“ Rampa Elicoidale hoch und am Abend wieder hinunter.

Die Rampa Elicoidale, von Francesco di Giorgio Martini erbaut, ist eine schneckenförmige Rampentreppe, die vom Mercatale an den Fuss des Palazzo Ducale führt, genau dort hin, wo im Barock eine Bresche in die Stadt geschlagen und ein neues Theater gebaut wurde. Die Rampe diente einst Montefeltro um hoch zu Ross zum Palazzo zu gelangen, vorbei an den Stallungen, wo seine 300 Pferde untergebracht waren. Giancarlo De Carlo erkannte die grandiose Möglichkeit, hier in den Fussstapfen Montefeltro’s in die Stadt zu gelangen, widmete sich der Aufgabe, obwohl ihn niemand gefragt hatte. Seine Vision, auch die Stallungen wieder zu beleben, blieben stecken in der abflauenden Kraft politischen Willens. So wie Montefeltro Luciano Laurana, Francesco di Giorgio Martini und Piero della Francesca um sich scharte hatte Giancarlo De Carlo mit Carlo Bo, dem Rektor der Universität von Urbino, einen visionären Auftraggeber und Freund, ohne den wohl alles anders gekommen wäre.

Wie kommt man zu Aufgaben, die einem ein Leben lang antreiben oder wie passiert es, dass man Leidenschaften entwickelt, die einem einfach zufallen? Ich würde mich freuen über einen Austausch zu dieser Fragen.

Vorgestellt von: Patrick Thurston