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werk, bauen + wohnen 1/2-2021

werk, bauen + wohnen 1/2-2021

Spitäler für Menschen?

Selten hat die öffentliche Gesundheit die Menschen so intensiv und anhaltend beschäftigt wie im Corona-Jahr 2020. Der aktuelle Bauboom im Spitalwesen hat jedoch nichts mit der Pandemie zu tun. Rund 15 Milliarden Franken sollen gegenwärtig in Spitalneubauten investiert werden, rund 70 grössere Projekte sind unterwegs. Das ist eine Wette auf die Zukunft des Gesundheitswesens. Und niemand weiss, ob die konkurrierenden Spitäler nicht am Ende ein Überangebot an Raum bereitstellen.

Die aktuellen Bauprojekte zeigen: Die Tage schlanker Bettenhäuser sind gezählt. Neu gebaut werden labyrinthische Behandlungszentren mit Untersuchungs- und Therapieräumen, Operationssälen, Intensivstationen in massigen Baukörpern. Neue Bettentrakte verfügen über effiziente Doppelstationen, die ebenfalls tiefe Baukörper erfordern.

Wo bleiben bei so viel Effizienz die Spielräume für gute Architektur, gar für Healing Architecture, die das Wohlbefinden der Patientin oder des Patienten ins Zentrum stellt? Wie findet Tageslicht seinen Weg in die Tiefe der Neubauten? Wie können Räume mit Identität und guter Orientierung entstehen? Wo finden wohnliche Materialien ihren Platz?

Als Anwälte der Patienten, Pflegenden und Ärztinnen kämpfen Architekten für räumliche Qualität im labyrinthischen Urwald des Spitals: Sie schlagen Schneisen, verteidigen Innenhöfe, schaffen Nischen und Momente räumlicher Weite, setzen Farb- und Materialakzente – ein oftmals harter Kampf. Wir haben einige neue Spitäler besucht und anerkennen die Qualität der Entwürfe, die enormen Leistung von Architekturschaffenden und Nutzerteams. Trotzdem: richtig froh hat uns keiner der Neubauten gestimmt. Zu übermächtig schien uns der Druck von Hygiene und Ökonomie, zu fern der lebendige Alltag, zu bedrückend die Vorherrschaft der Technik im Spitalbau der Gegenwart. Mit etwas Wehmut erinnern wir uns an die menschenfreundliche Anmutung des alten Zürcher oder Basler Universitätsspitals der 1940er Jahre mit ihren offenen Eingangshallen, den Balkonen, Korkböden und Holzeinbauten: Würde man sich so wohnliche Spitäler nicht auch heute wieder wünschen? —  Daniel Kurz, Jenny Keller

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