Zugänge freihalten
Es war reizvoll damals, keine Frage. Das Velo frühmorgens durch die Säulenreihe des Brandenburger Tors zu steuern, versprach immer ein Hochgefühl: Mit der Aussicht auf drei Kilometer Prachtachse in Richtung Universität im Westteil der Stadt verband sich eine Fahrt durch die deutsche Geschichte – oder, salopp gesagt: durch den Bildhintergrund der deutschen Tagesschau. Daran ist heute kaum mehr zu denken. Die Stadt ist voller Touristen, die Achse ist Fanmeile und der Pariser Platz ist die «gute Stube» Berlins. Und wie jedes Wohnzimmer ist er vom Verkehr befreit.
Nirgends in Berlin offenbart sich die Verwertung des Stadtraums für den Tourismus direkter als in der Umgestaltung seines Stadtzentrums. Mit der Fussball-WM kamen die Riesenposter an die Fassadengerüste, oft ohne überhaupt eine Baustelle zu tarnen – so wenig war 2006 baulich los. Die Billigfliegerei hat der verträumten Exklave Berlin die Billigmieten ausgetrieben. Und mit dem Bauboom kochte der heisse Immobilienmarkt vollends über. Kurzum: Berlin leidet wieder an ganz normalen Problemen einer hippen Metropole. Händeringend werden bezahlbare Wohnungen gesucht, sogar von Verstaatlichung privatisierter Wohnungsbestände ist heute die Rede (vgl. das Interview mit der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf S. 6).
Mit dem Boom einher ging auch eine neue symbolische Besetzung der Mitte der Hauptstadt, für viele die Mitte der Republik. Schon deshalb ist der Wiederaufbau des Stadtschlosses mit seiner Nutzung als Humboldt Forum kein normales Bauwerk. Ohne die alten Debatten zu wiederholen, kann man den Bau nun als Konstruktion, als Architektur, ja als Stadtraum wahrnehmen. Schreitet man durch den neuen, von Franco Stella erdachten schmalen mittleren Hof, eröffnen sich neue Blicke in den Stadtraum, beispielsweise zum Alten Museum von Karl Friedrich Schinkel hinüber. Oder auf den Neubau der James-Simon-Galerie von David Chipperfield auf der Museumsinsel. Interessanterweise rüsten beide Bauten Berlin für die Phänomene der heutigen Grossstadt: War es im Alten Museum die grossartige Loggia, die den Bürger auf Augenhöhe mit dem König erhob, so ergötzen sich bald Touristen an der «Geschichte» und den Ausstellungen im Humboldt-Forum. Berlin ist definitiv in der globalisiert-grossstädtischen Normalität angekommen. — Roland Züger