Partizipation als «Strasse zur Freude»
Während der Recherche zu diesem Heft begegneten wir in der Schweiz erstaunlich vielen Architekturschaffenden, die in irgendeiner Form einen Bezug zu Giancarlo De Carlo haben: Sei es, dass sie als Studierende an einem der ILAU Workshops in Urbino oder den Sitzungen des Team X teilgenommen hatten oder dass sie den italienischen Architekten noch persönlich kannten. De Carlo gehört zu den einflussreichsten Architekten Italiens im vergangenen Jahrhundert. Dass sein Werk für viele Jüngere aber erst zu entdecken ist, erstaunt nicht. Denn es liegt sozusagen im toten Winkel der Deutschschweizer Tendenzen. Jene sind stark geprägt vom Denken Aldo Rossis und den Werken «neorealistischer» Italiener.
De Carlo, geboren 1919 und verstorben 2005, gilt als einer der wichtigsten Vertreter einer partizipativen Architektur. Schon sehr früh hat er aus einer auch für den «Neorealismo» typischen Neigung heraus versucht, die Bedürfnisse der einfachen Menschen, der Nutzer seiner Architektur in den Entwurf miteinzubeziehen. Dass ihm der Dialog dazu als das richtige Mittel erschien, und dass er diesen nicht scheute, hat sicher auch mit seiner anarcholibertären Gesinnung zu tun. Grundlegend dafür waren De Carlos grosses Interesse am Aushandeln und sein Bekenntnis zur Eigeninitiative. Dass Partizipation zu einer besseren Architektur beitragen kann, widerspricht einem weit verbreiteten Vorurteil. Die Methoden, die De Carlo für die Planung seiner bekanntesten Wohnbauprojekte entwickelt hat, weichen um einiges von der heutigen Praxis partizipativer Prozesse ab und sind noch stark von Schlagworten wie «Wissenschaftlichkeit» und «Fortschritt» geprägt. Dennoch bieten sie heute Anschauung für die Frage nach dem Verhältnis von Prozess und Form, von Gesellschaft und Architektur. Für De Carlo gehörte beides unauflösbar zusammen, er suchte in seiner architektonischen Praxis Wege aus der Autonomie der Architektur. Dass Aushandeln und Entwerfen dabei auch unterhaltsam, kreativ und «eine Strasse zur Freude» sein sollten, sieht man der enormen räumlichen Qualität seiner Bauten an. Es ist also höchste Zeit für einen Blick in den Rückspiegel. — Tibor Joanelly, Roland Züger