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Mehr Kultur in der Planung

Mehr Kultur in der Planung
Bild: Caspar Schärer

Wettbewerbe, Stadtbildkommissionen, Baukulturvermittlung: Zentralpräsidentin Ludovica Molo wurde als Rednerin an den Schweizerischen Städtetag 2018 in Solothurn eingeladen und sprach dort vor über hundert Stadt- und GemeindepräsidentInnen über die Anliegen des BSA. Die jährliche Tagung wird vom Städteverband organisiert; 2018 stand sie unter dem Motto «Kulturstadt – Stadtkultur».

Ludovica Molos Rede im Wortlaut:

Sehr geehrter Stadtpräsident Fluri
Sehr geehrte Stadt- und Gemeindepräsidentinnen
Sehr geehrte Frau Chassot
Sehr geehrte Mitglieder des Städteverbands
Sehr geehrte Damen und Herren

es freut mich sehr, dass ich als Präsidentin eines kleinen Berufsverbands hier in dieser illustren Runde sprechen darf. Ich bedanke mich insbesondere beim Schweizerischen Städteverband, der mich nach Solothurn in dieses prächtige Landhaus eingeladen hat.

Wie stelle ich mir die Schweiz in dreissig Jahren vor – in einer Generation? Ich sehe ein Netz kleiner und mittelgrosser Städte, eingebettet in eine intakte und vielfältige Landschaft, miteinander in Kontakt dank eines leistungsfähigen Infrastruktursystems – ein einzigartiger Stadtkörper, in dem die Lebensqualität hoch ist, der öffentliche Raum belebt und die Natur gleich um die Ecke.

Zum Gewebe des Gebauten in diesen Städten gehört das Dazwischen: jene Orte, an denen sich das Leben der Menschen abspielt, – wo das Kollektive einen Ausdruck findet, ganz im Sinne der klassischen citoyennité. Plätze, Strassen, Parks, die Umsteigepunkte des öffentlichen Verkehrs: Orte der Begegnung, des Austauschs, des Transits oder des Innehaltens – vor allem aber auch sichere Orte. Im Gleichgewicht des Gebauten und seiner Zwischenräume spiegeln sich die wichtigsten Werte unserer Gesellschaft: Offenheit und Neugier, aber auch Effizienz und Pragmatismus.

Ich stelle mir vor, dass sich eine hochentwickelte Gesellschaft wie die unsere über den Umgang mit ihrem Territorium definiert. Ein Territorium, in dem sich unsere Geschichte, unsere Zivilisation und unsere Landschaft im besten Sinne entfalten und ausdrücken kann, die Vergangenheit beinhaltend und die Zukunft antizipierend.

Wie gelangen wir nun an diesen Punkt?

Zunächst müssen sich alle ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden. Niemand kann sich davon ausnehmen. Jede Bautätigkeit, jede Veränderung der Landschaft ist ein öffentlicher Akt, in den alle verwickelt sind: die Politik, die Verwaltung, die Planer, die Bauherren, die Architekten, die Unternehmer – die ganze Zivilgesellschaft.

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben wir einige grossartige Projekte gesehen, die die hohe Qualität der Schweizer Baukultur abbilden. So erreichte etwa eine Gruppe engagierter Bürgerinnen und Bürger im Mendrisiotto, dass entlang eines Flüsschens an der Autobahn ein Landschaftspark eingerichtet wird. Ein anderes Beispiel ist die fantastische Geschichte, die sich im kleinen Bündner Dorf Riom abspielt, wo die Hochkultur als Motor einer umfassenden ökonomischen Transformation genutzt wird. Erst das zweite Mal wurde in diesem Jahr der Wakker Preis nicht an eine Ortschaft, sondern an eine Organisation verliehen: Die Fundaziun Origen befördert den Wandel in Riom.

Es versteht sich fast von selbst, dass sowohl für die Baukultur wie auch meine Vorstellung einer Schweiz in dreissig Jahren die Architektinnen und Architekten eine grosse Verantwortung tragen – jedenfalls eine grössere als in den letzten Jahrzehnten. Die Integration des Kulturerbes und der gleichzeitige Blick in die Zukunft gehören zu dieser Rolle, genauso wie die technische Kompetenz beim Planen und Bauen – letztlich die Fähigkeit, anhand eines Projektes eine Vision zu entwickeln, eine für alle nachvollziehbare und anschlussfähige Vision.

Ich bin der Ansicht, dass jede Gesellschaft für ihr Selbstverständnis und letztlich ihre Stabilität ein gemeinschaftliches Projekt braucht, an dem sie sich ihrer Identität vergewissern kann. Was eignet sich dafür besser als eine Vision des Territoriums?

Vergessen wir nicht: Das Territorium ist ein gemeinsames Gut und eine kollektive Leistung. Gerade deshalb ist dessen Transformation ein Prozess von öffentlichem Interesse, der die gesamte Zivilgesellschaft betrifft.

Natürlich kann ein derart komplexes Projekt nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit entwickelt werden. Zudem sind wir uns bewusst, dass das Territorium ohne die Politik – und ohne die Finanzen! – weder geplant noch gestaltet werden kann. Ohne Zweifel ist die Umsetzung von grossen öffentlichen Projekten nur mit dem Vertrauen und dem visionären Mut der Politik denkbar. Der Politik folgt eine starke Verwaltung, die die Prozesse fördern und führen kann, die wiederum die privaten Interessen des Immobilienmarktes mit den Interessen der Öffentlichkeit in Einklang bringen. Dazu braucht es innovative Prozesse; ein weithin bekanntes Instrument ist der Architekturwettbewerb – einer der wichtigsten Pfeiler unserer Baukultur und ein Kernanliegen des BSA.

Genauso wichtig ist die Vermittlung der Baukultur. Für die kritische und kompetente Teilnahme an diesen Prozessen braucht es Grundwissen – Wissen, das an Schulen vermittelt werden sollte. Aus diesem Grund unterstützt der BSA seit Jahrzehnten ein Schulprojekt, das sich inzwischen zum gesamtschweizerischen Verein Archijeunes entwickelt hat. Archijeunes hat sich die Vermittlung von Baukultur an Kinder und Jugendliche auf die Fahne geschrieben und betreibt eine Plattform auf der Lehrpersonen passende Programme oder Experten und Vermittler für ihren Unterricht finden können.

Die Architekten müssen für dieses grosse Projekt die Verantwortung übernehmen und dürfen sich dem Diskurs nicht entziehen. Keinesfalls soll sich die Arbeit des Architekten auf das Bauen qualitativ hochstehender Bauten beschränken. Architekten müssen sich wieder vermehrt exponieren und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse nutzen, Visionen zu vermitteln. Es ist ihre Aufgabe, mehr Kultur in die Planung einzubringen. Die Planung und Gestaltung des Territoriums ist in erster Linie ein kultureller Akt, lange vor den technischen und juristischen Aspekten.

Das Territorium – oder unser Grund und Boden – ist ein nicht nur ein gemeinsames, sondern und vor allem ein endliches Gut. Seine unkontrollierte Verschwendung ist nicht nachhaltig, weder aus ökonomischer, ökologischer noch aus sozialer Sicht.

Wir müssen unseren Lebensstil ändern. Und deshalb heisst das Schlüsselwort: Engagement.

In einem basisdemokratischen Land wie dem unseren ist es undenkbar geworden, Grossprojekte von oben herab durchzusetzen. Zu oft haben wir erlebt, dass sich in der Bevölkerung Widerstand organisiert – auch und gerade in den Städten. Die Entwicklung neuer und partizipative Prozesse ist deshalb unerlässlich.

In den letzten Jahren haben sich überall im Land Bürgerinitiativen gebildet, die sich meistens für Erhalt dieser oder jener Landschaft einsetzen. Die Zweitwohnungsinitiative, verschiedene Kulturlandinitiativen und das geänderte Raumplanungsgesetz zeugen davon auf eidgenössischer und kantonaler Ebene. Diese Gruppen setzen sich mit komplexen Prozessen auseinander – ich habe die Beispiele aus dem Mendrisiotto und Graubünden erwähnt – und es gelingt ihnen, Einfluss zu nehmen und korrigierend einzugreifen.

Und die Architekten?

Sie haben sich mehrheitlich von der Politik entfernt. Sie geben sich damit zufrieden, schöne Objekte zu bauen. Sie beziehen sich auf und beschäftigen sich ausschliesslich mit sich selbst – und dies nicht einmal innerhalb der Disziplin, sondern jeder für sich alleine.

Dieser generelle Eindruck stimmt zum grossen Teil, aber nicht ganz. Engagement ist natürlich auch die Berufsgruppe der Architekten möglich. Ein Beispiel: Viele BSA-Architekten engagieren sich in den Stadtbildkommissionen zahlreicher Schweizer Städte. Die Kommissionen sind neutrale Fachgremien, die die Politik und Verwaltung in städtebaulichen und architektonischen Fragen beraten.

2017 hat unser Verband eine Tagung für Chefbeamte und Politiker zu diesem Thema organisiert; nächstes Jahr wird dazu eine Publikation erscheinen. Bei der Tagung ging es darum, die verschiedenen Modelle der Stadtbildkommissionen miteinander zu vergleichen und zu diskutieren sowie Verbesserungen bestehender Strukturen und die Gründung neuer Kommissionen anzuregen. Im Rahmen der Tagung wurde klar, dass der Fokus nicht ausschliesslich auf Einzelbauten, sondern auf der Stadtentwicklung als gesamtheitlichem Prozess liegen sollte.

Die radikalsten und bedeutendsten Projekte in der Schweiz betreffen allerdings seit jeher die Infrastruktur. Zuerst das Eisenbahn-, dann das Nationalstrassennetz haben unsere Landschaft und Siedlungen einschneidend, durchdringend und langfristig verändert. Dort, wo Architektinnen und Architekten eine Rolle als Gestalter und Berater einnehmen konnten – etwa im Tessin beim Bau der A2 in den 1970er Jahren oder heute beim Gotthard-Basistunnel –, konnte eine hohe Qualität und dadurch eine entsprechend bessere Akzeptanz erreicht werden.

Im Grunde sollten aber die Architekten nicht nur schöne Brücken und Tunnelportale entwerfen, sondern sich schon viel früher einbringen. Infrastrukturen prägen das Territorium derart umfassend, dass schon in der Konzeptphase entwerferisches Denken dringend benötigt wird. Auch hier gilt: die Planung braucht mehr Kultur! Ganz im Sinne des grossen Projekts des Territoriums.