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werk, bauen + wohnen 3-2018

werk, bauen + wohnen 3-2018

Knochenarchitektur

«Starke Strukturen» nannte werk, bauen + wohnen vor neun Jahren ein Heft, das von der Raumbildung sprechende Tragwerke zum Gegenstand hatte und die Zusammenarbeit von Architekt und Bauingenieurin aufs Podest hob (wbw 5–2009). «Weit gespannt» (wbw 11–2014) war dann ein weiteres Heft, das vor allem mit Hallenkonstruktionen belegen wollte, dass in einem architektonisch gedachten Tragwerk nicht nur Entwurfspotenzial steckt, sondern auch bautechnische Innovation.

Nun wird dieser thematische Bogen weiter gespannt mit aktuellen Bauten, bei denen die Gleichung zwischen Tragwerk und Raum auf überzeugende Weise aufgeht. Über die Bestandesaufnahme hinaus sind zwei weitere Aspekte charakteristisch. Da ist zum einen die Struktur selbst, die mit zunehmender Virtuosität zum Sprechen gebracht wird – Stichwort «Tektonik» –, und da ist zum anderen auch ein verhaltener Klassizismus, der bei den präsentierten Bauten ausnahmslos mitschwingt. Beides fügt sich für uns in einen Begriff der «Haut- und Knochen-Architektur», der gemeinhin Mies van der Rohe zugeschrieben wird, seine geistesgeschichtliche Herkunft aber im 19. Jahrhundert hat.

Das heute verbreitete Herzeigen der kraftvollen Struktur sieht die Redaktion als eine baukünstlerische Reaktion auf eingebildete oder tatsächliche Auflösungserscheinungen in der Architektur. Der zunehmenden Spezialisierung im Beruf und der Differenzierung konstruktiver Funktionen kann mit einem synthetischen, «zusammenführenden» Anspruch an das Bauen begegnet werden. Die Tragstruktur ist hier – mit Vorliebe aus Beton – die ordnende Instanz, die sozusagen für die Architekturhaftigkeit der Architektur sorgt, weitab von einer Diskussion um Referenzen oder Bilder.

Ebenso wie diese hat die «Poetik der Tragstruktur» das Zeug zu einem Stil in der Architektur, und es ist sicher nicht falsch, wenn man erneut von einem «Ingenieur-Stil» oder zumindest von einem «Struktur-Stil» sprechen würde, der sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit hinzieht. Dem bei den vorgestellten Bauten mitschwingenden Essenzialismus (What you see is what you get) fällt dabei der Part der kraftvollen Erzählung zu, die je nach Zeitgeist mit weiteren Inhalten wie Fortschritt, Flexibilität, Konnektivität, Gemeinschaft oder Tradition angereichert werden kann.

Hier kann Heft 3-2018 bestellt werden