Schliessen
BSA-FAS, Publikationen BSA,

werk, bauen + wohnen 4 – 2022

werk, bauen + wohnen 4 – 2022

 «Alles so schön bunt hier»

Sie begegnen uns in letzter Zeit öfter: frisch gestrichene, mit einer auffälligen Farbe akzentuierte Bauteile, die oft preisgünstige Umbaumassnahmen nobilitieren – ähnlich wie die gerade wieder allgegenwärtige Kreisform in der aktuellen Architekturproduktion. Für temporäre Bauten wird das Farbenspektrum noch wilder gemixt, wie der Bericht aus London zeigt. Vielleicht, weil man dort mehr an Punk gewöhnt ist als hierzulande und die Oberflächlichkeit zu zelebrieren weiss?
Ob und inwiefern die gegenwärtige Farbenfreude mit belgischen Architekturvorbildern oder mit LGBTQIA+ zu tun haben könnte, mit der rosaroten Brille oder wiedererwachter 1980er-Jahre-Ästhetik, erläutern Expertinnen des Fachs. Sie machen aber auch bewusst, dass die Trends von heute bald von gestern sind. Und dieser Leitsatz verträgt sich schlecht mit der Idee der Firmitas oder einer zeitlosen, die Moden überdauernden Architektur. Ist das vielleicht ein Grund, weshalb viele Architektinnen und Architekten lieber die Finger von bunten Farben lassen? Oder kann es sein, dass farbige Räume als emotional konnotiertes Gegenstück nicht zum rationalen Architekturentwurf einer alles kontrollierenden Universalgestalt «des Architekten» passen? Wir können beruhigen: Farbe ist nicht nur Oberfläche. Aber auch. Farbe ist Assoziation, aber nicht nur. Farbe hat Wirkung, die ist aber individuell. Zu Farbe muss man stehen, sie fällt auf.
Bei gekonnter Farbgestaltung geht es am Ende um den Willen zur Multidisziplinarität. Um Licht und Schatten. Und um unverkrampfte Intuition. So soll auch Barragán nicht nur als «der mit den schönen Farben», wahrgenommen werden, wie unser Autor unterstreicht. Trotzdem ist er Teil dieses bunten Reigens, der den grauen Alltag mit Heiterkeit erfüllen soll und zu mehr (Farben-)Freude inspirieren mag.— Jenny Keller